Erkrankungen der peripheren Nerven

Die peripheren Nerven stellen die Nervenstrukturen dar, die außerhalb des Rückenmarks verlaufen und die Muskeln bewegen (motorische Nerven) sowie die Gefühlsempfindungen von der Haut und anderen Strukturen zum Rückenmark hinleiten (sensible Nerven). Außerdem gibt es autonome (oder vegetative) Nervenfasern, die für Funktionen wie Schweißbildung, Haarwachstum und Veränderungen der Gefäßweite verantwortlich sind.  Meist verlaufen die motorischen, sensiblen und autonomen Nervenfasern zusammen in einem Nervenbündel (peripherer Nerv).

Nervenwurzel-Schäden ( Radikuläre Syndrome)

Vom Rückenmark treten die Nervenwurzeln zwischen den Wirbelkörpern aus und vereinen sich dann zu den peripheren Nerven. In der Nähe des Rückenmarks können die Nervenwurzeln durch Bandscheibenvorfällen oder auch andere Ursachen geschädigt werden. Man spricht dann von Wurzelschäden (radikuläre Läsionen). Diese Schäden zeichnen sich durch strangförmig ausstrahlende Schmerzen und Gefühlsstörungen aus, die sich genau an die Ausbreitungsgebiete der Nervenwurzeln halten. Die von diesen Nervenwurzeln versorgten Muskeln zeigen Ausfallserscheinungen in Form von Lähmungen. Diese radikulären Ausfallsmuster lassen sich klinisch durch Prüfung der motorischen und sensiblen Funktionen erfassen. Neben Bandscheibenvorfällen kommen auch entzündliche und tumoröse Prozesse als Ursache der radikulären Syndrome in Betracht. Am häufigsten kommen radikuläre Syndrome im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) auf, seltener im Bereich der Halswirbelsäule (HWS).

Die neurophysiologischen Untersuchungen (Elektromyographie (EMG) und Elektroneurographie (ENG) geben Aufschluss über Art und Ausmaß der Schäden an den Nervenwurzeln. Aus dem Muster der Ausfälle kann die geschädigte Nervenwurzel genauer eingegrenzt werden und zu den Befunden der bildgebenden Diagnostik (CT und MRT) in Beziehung gesetzt werden. Diese bildgebenden Verfahren können nur die Knochen- und Bandscheibenstrukturen darstellen, geben aber keine Auskunft über das Ausmaß einer Nervenschädigung.

Die Therapie von radikulären Syndromen besteht in erster Linie in der aktiven Physiotherapie mit Übungen zur Kräftigung der Muskulatur an der Wirbelsäule. Dadurch wird die Stabilität der Wirbelsäule verbessert, und die Schmerzen werden beeinflusst. Nur bei ausgeprägten Lähmungserscheinungen, insbesondere bei Blasen- und Mastdarmstörungen, ist eine dringliche Operationsnotwendigkeit gegeben. Bei langdauernden Schmerzen und deutlicher Muskelschwäche kann eine Operation erwogen  werden. Eine angepasste medikamentöse Schmerztherapie ist zur Förderung der Beweglichkeit notwendig.

Plexusläsionen

Nach Austritt der Nervenwurzeln aus dem Wirbelsäulenkanal gruppieren sich die Nerven zu Bündeln im Bereich der Schulter (Armplexus)und des Beckens (Beinplexus). In diesem Bereich können Nervenschäden durch Kompression oder Zug, durch entzündliche Veränderungen oder durch Tumoren entstehen. Auch hier kann die klinische Untersuchung die Verteilung und das Ausmaß der Nervenläsion eingrenzen. Die EMG und ENG Untersuchungen unterstützen die klinischen Befunde.

Die Therapie besteht meist in der Physiotherapie, nur bei ausgeprägten Lähmungserscheinungen können operative Maßnahmen in Betracht gezogen werden. Bei ausgeprägten Schmerzen ist angepasste Schmerztherapie wichtig.

Läsionen peripherer Nerven

An den Armen und Beinen gruppieren sich die Nervenfasern wieder zu einzelnen peripheren Nerven um, die wiederum bestimmte Muskeln und Hautareale versorgen. Periphere Nerven können  durch Verletzungen (Knochenbrüche), Druckeinwirkung oder Zerrung ausgelöst werden. Die klinische Erfassung der betroffenen Muskeln und Hautareale erlaubt die Zuordnung zu einem bestimmten peripheren Nerven und ihre Abgrenzung zu einem radikulären oder Plexus-Ausfallsmuster. Dabei helfen die EMG und ENG Untersuchungen, die betroffenen Strukturen zu erfassen.

An bestimmten Stellen an den Extremitäten können die peripheren Nerven durch anatomisch vorgegebenen Engstellen gereizt und geschädigt werden. Man spricht hier von Engpass-Syndromen. Hier ist die Einengung der N. medianus am Handgelenk weitaus am häufigsten (Karpaltunnelsyndom), seltener ist der N. ulnaris am Ellenbogen (Sulcus-Ulnaris Syndrom) oder am Handgelenk (Syndrom der Loge du Guyon) betroffen. Auch andere Nerven können (weitaus seltener) an Engstellen betroffen sein. Die Kenntnis der Engstellen und der gefährdeten Nerven erlaubt die klinische Diagnose, die durch EMG und ENG- Untersuchungen weiter erhärtet werden kann. Die Therapie richtet sich nach dem Ausmaß der Lähmungen und nach vorhandenen Schmerzen. Bei Engpass-Syndromen können operative Massnahmen sinnvoll sein, wie zum Beispiel die Spaltung des bindegewebigen Bandes am Handgelenk im Falle eines Karpaltunnel-Syndroms.

Polyneuropathien

Der Begriff Polyneuropathie bezeichnet eine Erkrankung vieler oder aller peripherer Nerven. Meist sind die Veränderungen der Neven entsprechend der Länge der Nerven an den Füßen oder an den Händen betont. In der Regel sind die Veränderungen beidseitig symmetrisch ausgeprägt. Bei Fortschreiten der Veränderungen breiten sich die Beschwerden von den Gliedmaßen-Enden weiter zum Rumpf hin aus. Als Ursachen von Polyneuropathien kommen vielfältige Störungen in Betracht. Es können genetische Störungen die Funktion der Nerven beeinträchtigen, häufig sind Stoffwechselstörungen für die Beschwerden verantwortlich. Hier sind zu nennen: Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), Nierenversagen, Leberversagen und andere. Oft sind toxische Veränderungen Ursache der Beschwerden, hier ist der Alkoholkonsum in ersten Linie zu nennen. Die verschiedensten Medikamente können ebenfalls zu medikamentös-toxischen Polyneuropathien führen. Hier sind zu nennen: Chemotherapie (Medikamente im Rahmen einer Krebstherapie), manche Antibiotika, Rheumamittel, Koronarmittel, Fettsenker und viele andere. Selten lösen toxische Umweltgifte (z.B. Blei, Arsen, organische Lösungsmittel) Polyneuropathien aus. Infektionen, wie zum Beispiel durch Borrelien, können ebenfalls Polyneuropathien auslösen (Borreliose).  Schliesslich können autoimmun bedingte Entzündungen zu ausgeprägten Polyneuropathien (Polyneuritis, GBS, CIDP) führen.   Die Zuordnung der Polyneuropathie- Symptomatik zu einer bestimmten Ursache erfolgt durch die Erhebung der Vorgeschichte unter Berücksichtigung von toxischen Einwirkungen (z. B. Alkohol oder Medikamente), Erfassung des Verteilungsmusters der klinisch-neurologischen Zeichen der Polyneuropathie und durch die Art der neurophysiologischen Veränderungen, die durch EMG und ENG erfasst werden können. So führen beispielsweise genetisch bedingte Polyneuropathien regelmässig zu erheblichen Veränderungen der ENG, während toxische Polyneuropathien nur geringe Veränderungen der ENG und deutlichen Veränderungen des EMG führen. Die Therapie richtet sich nach der Ursache der Polyneuropathie und den vorhandenen Schmerzen. Toxische Ursachen sollten nach Möglichkeit ausgeschaltet werden, Stoffwechselstörungen sollten normalisiert werden. Bei Schmerzen und Missempfindungen können verschiedene Medikamente eingesetzt werden. Bei autoimmun-entzündlichen Ursachen (Polyneuritis, GBS, CIDP) können immunwirksame Medikamente (Cortison, Immunglobuline, Plasmaaustausch-Behandlungen) verwendet werden.

Muskelerkrankungen (Myopathien)

Es gibt eine Vielzahl von Erkrankungen der Muskeln. Das Merkmal von Myopathien ist die Muskelschwäche ohne Gefühlsstörungen. In den meisten Fällen sind die Ausfälle dort am stärksten, wo die größte Muskelmasse ist, also meist stammnah. Viele Myopathien erzeugen ausgeprägte Muskelschmerzen. In vielen Fällen sind Muskelerkrankungen (Muskeldystrophien) genetisch bedingt und treten schon in der Kindheit auf. Manche machen aber erst im Erwachsenenalter Beschwerden. Autoimmun-entzündliche Muskelerkrankungen (Myositis) kommen eher im fortgeschrittenen Alter vor. Manche Medikamente wie etwa einige Rheuma- und Herzmittel und Cholesterinsenker können Muskelbeschwerden auslösen. Die neurologisch-klinische Untersuchung dient dazu, das Ausmaß der Muskelschwäche und ihre Verteilung zu bestimmen. In der neurophysiologischen Untersuchung kann mit dem EMG die Art der Muskelveränderungen erfasst werden. Laboruntersuchungen und eine Muskelbiopsie ergänzen die Diagnostik. Für die genetisch bedingten Muskelerkrankungen stehen eine Vielzahl von humangenetischen und biochemischen Untersuchungen für die Diagnose  zur Verfügung.  Die Therapie besteht in erster Linie in Physiotherapie zur Kräftigung der Muskeln und gegebenenfalls in einer Schmerztherapie bei ausgeprägten Schmerzen.  Bei entzündlichen Muskelerkrankungen (Myositis) sind immunwirksame Medikamente wirksam.

Myasthenie

Die myasthenia gravis (Myasthenie) ist eine Erkrankung, bei der Autoantikörper gegen die Empfangsorgane (Rezeptoren) der Muskeln für Nervenimpulse gebildet werden. Dadurch wird die Übertragung von Nervenimpulsen auf den Muskel gestört, die Folge ist eine Muskelschwäche, die sich besonders in einer abnormen Ermüdbarkeit der Muskeln äußert. Das Ausmaß der Schwäche kann im Tagesverlauf erheblich schwanken. Oft sind zunächst die Augenlider betroffen, es können aber auch die Arme und Beine betroffen sein. Die neurologisch-klinische Untersuchung dient zur Erfassung der Muskelschwäche und der abnormen Ermüdbarkeit der Muskulatur. Die neurophysiologische Diagnostik (EMG und ENG) kann die abnorme Impulsübertragung vom Nerven auf den Muskel nachweisen. Besondere Antikörper gegen die Muskelrezeptoren können im Blut nachgewiesen werden. Die Therapie besteht in der Gabe von Medikamenten, welche die Impulsübertragung vom Nerven auf den Muskel verbessern und von immunwirksamen Medikamenten.